„Der Kundenservice ist im Wandel durch disruptive Technologien und Digitalisierung.“ Eine Aussage, die CX-Manager, IT-Techniker und Softwarearchitekten aus dem Support-Bereich zu hören und zu lesen bekommen – oft mit dem Auftrag, den Service an die heutigen technologischen und digitalen Möglichkeiten anzupassen. Doch wie verbessern Technologien bestehende Kundenserviceansätze? Wo liegen die Chancen und Herausforderungen der Technologien und Kommunikationskanäle im Service? Und was setzt dem technologischen Fortschritt Grenzen?
Inhaltsverzeichnis:
- Interactive Voice Response (IVR)
- Natural Language Understanding (NLU)
- Cloud
- Unified Agent Desktop
- Omni-Channel
- Wo liegen die Grenzen der neuen Technologien im Kundenservice?
Kundensupport in 90ern und 2000ern: Damals war alles besser…?
Kundenservice in den 90ern und Anfang der 2000er fand fast ausschließlich außerhalb des Internets statt: Telefon, Fax, Brief, Shop und selten per Mail. Die Verteilung und das Routing von Kundenanrufen liefen über ACD-Anlagen. CRM-Systeme und E-Mail Management für Call Center und Kundenservice waren kaum vorhanden. Für die Servicemitarbeiter gab es Toolunterstützung, beispielsweise zur Diagnose von technischen Störungen, doch auf die Ergebnisse konnten die Agenten zugreifen – Kunden nicht. Servicemitarbeiter hatten zudem nur eingeschränkt Zugriff auf technische Daten und die Tools enthielten nur bedingt Schritt-für-Schritt-Anleitungen, die Agenten an die Kunden weitergeben konnten. Dazu gab es für jeden Servicebereich ein Tool: für die technische Entstörung, die Bearbeitung von Rechnungen oder zur Verwaltung der Kundendaten. Service-Mitarbeiter mussten diese parallel bedienen. Die Menge an Tools verursachte eine interne IT-Zersplitterung und diese musste weitgehend ohne Automation supportet werden. Das war ein immenser Aufwand für die IT- und Software Architekten und Techniker.
Durch den Ausbau des Internets konnte eine immer größere Gruppe auf Online-Dienste, Services und Kommunikationsmöglichkeiten zugreifen. Diese technologische Entwicklung und die sich verändernden Kommunikationsgewohnheiten der Kunden beeinflussten den Kundenservice ungemein. Unternehmen verlangten nach Lösungen, die der internen IT-Zersplitterung entgegenwirkten und welche sowohl die Arbeit der Service-Mitarbeiter als auch die Lösungsfindung der Kunden erleichterten.
Technologien im Kundenservice: Fortschritte, Chancen & Herausforderungen
Interactive Voice Response (IVR)
Entwicklung:
IVR hat sich von statischen Systemen mit einfachen Warteschleifen und ungefährer Zeitangabe, wann ein Agent das Gespräch annimmt, hin zu einem dynamischen Routing-System entwickelt. Heute ist das Routing per Tastendruck oder per Spracheingabe (Part-of-Speech) verbreitet. Dabei arbeitet das IVR-System oft mit einer einfachen Spracherkennung in Form von Schlüsselworterkennung aus hinterlegten Wortkategorien. Am effizientesten sind heute IVR, die mit dem internen CRM-System, NLU oder KI-basierter technischer Diagnose verbunden sind. Dadurch hat das System Zugriff auf bereits erzeugte Kundendaten, versteht Sprache besser, fragt Kundennummer, Bestellnummer sowie Produktbezeichnung ab oder kann eine erste technische Diagnose starten. Einfache Anfragen können so ohne menschlichen Kontakt gelöst werden, während komplexere Anliegen von einem zielgenauen Routing profitieren und Kunden an einen passenden Call-Agenten weitergeleitet werden.
Herausforderung:
Die Spracherkennung hat sich durch NLU stark weiterentwickelt, ist aber noch nicht ausgereift und führt immer noch zu Verständnisproblemen - beispielsweise bei Dialekten. Part-of-Speech wirkt im Vergleich zu NLU plump, wird aber oft bei IVR eingesetzt. Ob Kunden Part-of-Speech in Zukunft weiterhin akzeptieren, ist fraglich. Eine andere Herausforderung für IVR liegt im Integrationsaufwand mit dem internen CRM-System oder der technischen Diagnose. Die Verbindung der Systeme und Technologien erzielt gute Ergebnisse beim Routing und kann auch zur Erhöhung der Customer Experience beitragen, doch bedarf es dafür eines Initial- und weiteren Pflegeaufwands. Gerade zu Beginn bedeutet das, mehr Manpower und Zeit investieren zu müssen.
Chancen und Nutzen im Kundenservice:
- Ergänzung zum Telefon-Support
- 24h verfügbar
- Entlastung der Call-Center-Mitarbeiter
- Besseres Routing
- Einbezug von Kontext (KI und CRM): Einfache Anliegen können automatisiert ohne persönlichen Kontakt abgewickelt und komplexere genau vorqualifiziert werden
Natural Language Processing (NLU)
Entwicklung:
Die Fourier-Zerlegung beschränkte früher Spracherkennung auf wenige Worte und Variationen. Heute ist die Methode eine Vorstufe von NLU und geht über automatische Spracherkennung hinaus. Dabei kann die Technologie sowohl in Texten (E-Mail, Social Media-Posts, Chatbots), als auch bei gesprochener Sprache (Telefon, Smart Speaker) im Kundenservice zum Einsatz kommen. Durch größere Rechenpower, mehr Speichergröße und Machine Learning-Technologie ist NLU in der Lage, Sprachvariationen und semantische Varianten zu lernen. Deshalb kann NLU den Kontext verstehen und den Intent eines Kunden erkennen sowie über gezielte Nachfragen relevante Informationen sammeln.
Herausforderung:
Trotz der enormen Weiterentwicklung in der Spracherkennung führen Rechtschreibfehler in Kundenanliegen oder sehr lange und komplexe Fragestellungen zu Verständnisproblemen der NLU. Bei Spracheingaben sind Dialekte, Akzente, Sprachfehler und Störgeräusche eine Herausforderung. Sowohl in der gesprochenen, als auch in der geschriebenen Sprache sind Ironie und Sarkasmus für eine NLU schwierig zu verstehen. Das bedeutet, dass NLU-Systeme trotz des enormen Fortschritts auf bestimme Themenfelder und ähnliche Fragestellungen limitiert sind. Konversationen sind folglich keine freien Unterhaltungen, sondern feste Flows. Damit einher geht auch die Akzeptanzschwelle der Kunden: Kunden gehen von einer menschlichen Kommunikation und somit von menschlichem Verständnis in einem Gespräch aus. Deshalb geben Kunden nach wenigen Versuchen auf, wenn das System sie nicht versteht. Eine weitere Herausforderung für den Kundenservice ist es, gute Use Cases für die NLU zu finden und diese mit Usern und Kunden zu testen. Hier ist der Initialaufwand groß, denn Sprachmodelle müssen durch Sprache- und/oder Eingabebeispiele trainiert werden. Für eine hohe Genauigkeit der Spracherkennung müssen zudem (neue) Informationen händisch antrainiert werden.
Chancen und Nutzen im Kundenservice:
- Bei Text und gesprochener Sprache einsetzbar
- Bedienungshürden sind beim Einsatz von Text und Voice gering – der Kundenservice muss sich wenige Gedanken um das User Interface und die Usability machen
- Menschenähnlicher Kontakt – die NLU versteht Bedeutung, Kontext, Zusammenhänge und zieht Schlüsse daraus
- Erkennt Intent des Kunden
- Lineare Aufgaben mit abgestecktem Aufgabenbereich werden automatisiert
- Lösung von Anliegen kann ohne menschlichen Kontakt stattfinden und schneller bearbeitet werden
- Sind die Anliegen komplexer, werden sie genau vorsortiert und an einen entsprechenden Service-Mitarbeitern geleitet
- Informationen sind leicht konsumierbar
- 24h verfügbar
Cloud
Entwicklung:
Vom Rechner auf dem Schreibtisch über interne Server bis hin zu standortübergreifenden Rechenzentren – die Möglichkeit vom speichern und teilen von Daten hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Der Kundenservice kann durch die Cloud Tools, Daten und Services auslagern. Beispielsweise lassen sich einzelne Service-Komponenten wie Voicemail, Email oder Anrufe in Microservices aufteilen und in der Cloud verfügbar machen. Dabei sind die Microservices unabhängig voneinander skalierbar: Müssen beispielsweise viele Mails verschickt werden, wird dieser Microservice hochskaliert – die anderen Microservices und Kundenkanäle sind nicht davon betroffen. Nach anfänglicher Abneigung setzt sich die Cloud immer mehr in Unternehmen durch. Das zeigt auch eine IDC Studie: So verfolgen 90 Prozent der befragten IT-Entscheider eine Cloud-Strategie.
Herausforderung:
Bei der Einführung einer Cloud muss sich ein Unternehmen die Frage stellen: Unternehmens-Cloud oder Cloud-Anbieter? Eine Unternehmens-Cloud bedeutet interne Pflege und Aufwand, aber die Daten bleiben im Unternehmen. Setzt ein Unternehmen dagegen auf einen Cloud-Anbieter, sinken die internen Kosten, der Service kann einfach gekündigt werden, aber die Daten liegen extern ab. Der Anbieter und dessen Umgang mit den Daten sollte deswegen auf DSGVO-Konformität geprüft werden. Andere Herausforderungen, die mit einer Cloud einhergehen, sind Ausfälle, in Folge derer dann der Zugriff auf alle ausgesourcten Daten, Tools und Services fehlt. Um die Verfügbarkeit zu garantieren empfiehlt es sich, Basisanwendungen für den Kundenservice wie automatische Anrufverteilung (ACD), IVR oder eine PBX-Telefonanlage als lokale Komponenten im Unternehmensnetzwerk zu besitzen.
Chancen und Nutzen im Kundenservice:
- Benötigt wenige Hardware-Ressourcen für die Speicherung von Daten
- Verwaltungsaufwand sinkt
- Spart Kosten
- Der Kundenservice kann stationär oder mobil auf die Daten, Tools und Services in der Cloud zugreifen
- Daten und Services können mit anderen genutzt und bearbeitet werden
- Kundenservice ist unabhängig vom Standort
- Service-Komponenten können in Microservices aufgeteilt werden und sind einzeln skalierbar
Unified Agent Desktop
Entwicklung:
Daten erfassen, Preisauskünfte und Produktinformationen geben, Beschwerden bearbeiten, Dokumente versenden, Telefongespräche entgegennehmen, technische Messungen vornehmen, nachgelagerte Prozesse anstoßen und E-Mails bearbeiten: Service Mitarbeiter hatten in der Vergangenheit viele Applikationen und Tools parallel zu bedienen. Heute erleichtert ein Unified Agent Desktop den Service-Alltag. Hier sind die einzelnen Applikationen und Tools in einem einzigen Interface integriert.
Herausforderung:
Ein wichtiger Punkt ist die Usability des Unified Agent Desktop. Dessen Interface muss trotz der vielen Funktionen übersichtlich bleiben, damit Service-Mitarbeiter den Nutzen aus diesem Tool ziehen können. Zudem können die vielen Funktionen Bugs und Fehlfunktionen auslösen. Herausforderungen sind deshalb, die IT-Technik und Qualität der Funktionen und Informationen hochzuhalten. Damit hängt auch der Integrationsaufwand zusammen: Traditionelle Kommunikationskanäle (PBX-Telefonanlage, ACD, CRM, ERP, Telefonie (CTI und SIP)) müssen mit modernen Kanälen (Chat Management Funktionen, Mobile und Tablett Apps) in eine gemeinsame Oberfläche integriert werden - je nach Umfang der Kanäle und vorhandenen Schnittstellen steigt der Aufwand. Es kann hier sehr zeitintensiv sein, ältere nicht-standardisierte Schnittstellen einzubinden.
Chancen und Nutzen im Kundenservice:
- Nutzen haben vor allem Service-Mitarbeiter: sämtliche Informationen und Funktionen werden in einem Interface bereitgestellt:
- Toolwechsel fallen weg
- Fehlerquote verringert sich
- Automatisierung des Desktops: wiederholende Schritte laufen automatisch ab
- Kunden profitieren: die Bearbeitungszeit der Anliegen sinkt
Omni-Channel
Entwicklung:
Wechselte ein Kunde von einem Service-Kanal wie einem Telefonservice zu einem anderen Kanal, beispielsweise einem Shop, ging der Kontext seines Anliegens verloren. Durch die Entwicklung von Single Source-Plattformen können heute alle Service-Kanäle in diese integriert werden, was einen Omni-Channel-Ansatz ermöglicht. Dadurch geht der Kontext eines Kundenanliegens selbst bei einem Channel-Hopping nicht verloren. Die Daten in der Single Source ermöglichen, lernende Technologien wie Machine Learning zu nutzen und auch durch Automatisierung den Kundenservice zu verbessern.
Herausforderung:
Eine Single Source-Plattform braucht qualitativ gute Daten – für den Kundenservice besteht die Herausforderung, die relevanten Daten zu finden und zu sammeln. Ein anderer Punkt ist die Integration der verschiedenen Kanäle in die Single Source, um den Kundensupport Omni-Channel-fähig zu gestalten. Je nachdem wie viele Kanäle integriert werden, steigt der Integrations- und Zeitaufwand. Hier empfiehlt es sich, sukzessive vorzugehen und einen Kanal nach dem anderen anzuschließen.
Chancen und Nutzen im Kundenservice:
- Lifecycle-Management: tracken von allen Kundenaktionen
- Verkürzt Bearbeitungszeiten von Anliegen
- Wirkt Datensilos entgegen: Alle Daten liegen an einem Ort
- Auswertung der Daten mit ML möglich, um Handlungsempfehlungen an Kunden per Self Serivce und Service-Mitarbeiter über interne Tools weiterzugeben
Wo liegen die Grenzen der neuen Technologien im Kundenservice?
Verschiedene Faktoren können Technologien Grenzen setzen, Beispiele sind Anwender, Finanzen und technische Aspekte. Meist ist aber nicht nur ein einzelner Faktor eine ausschlaggebende Grenze für Technologie, sondern das Zusammenspiel verschiedener Faktoren.
Nutzer und Anwender als Grenze und Chance
Nutzer können die Entwicklung von Technologien begrenzen, in dem sie diese nicht akzeptieren. Die Gründe für dieses Verhalten sind unterschiedlich und es gibt Möglichkeiten die Akzeptanz positiv zu beeinflussen.
- Diskriminierung: Technologien werden nicht akzeptiert, wenn diese durch noch nicht ausgereifte Lernmodelle Menschen aufgrund von Geschlecht, Alter, Ethnie und Religion diskriminieren. Wird das behoben, kann die Akzeptanz in Technologie steigen und sie als objektiv wertender Partner in Beruf und Alltag angenommen werden.
- Fähigkeit: Hier stellen (potenzielle) Nutzer die Frage: Kann Technologie wirklich, was sie verspricht? Ist das, was das System sagt, richtig? Technologien müssen ihre positiven Fähigkeiten zum Teil noch unter Beweise stellen. Gelingt das durch gute Ergebnisse, die den Nutzern bei ihrer Arbeit effektiv helfen, wird dieses Akzeptanzkriterium positiv beeinflusst.
- Vertrauen: Nutzer können die Ergebnisse der Maschine nicht nachvollziehen – das können oftmals nicht einmal mehr die Entwickler. Ohne Transparenz fällt es Anwendern schwer einer Technologie zu vertrauen. Ein Gegenmittel ist, KI und ML-Verfahren mit einem gewissen Erklärungsgrad auszustatten, der mit der Lösung präsentiert wird: „Auf Grund von Variable X und Variable Z, ist die Lösung Y.“ Die Komplexität, die hinter diesen Entscheidungen liegt, lässt sich nicht zu 100 Prozent abbilden, doch durch die Erklärungen steigt die Nachvollziehbarkeit und die Technologie verliert ihren Ruf als Black Box.
- Daten- und Kontrollverlust: Das betrifft vor allem Cloud-Lösungen. Unternehmen befürchten, dass ihre Daten in falsche Hände gelangen, sie nicht mehr die Kontrolle über die outgesourcten Daten besitzen oder dass es zu Datenausfällen kommt. Die strikte Einhaltung der DSGVO und die Gewährleistung der Datenverfügbarkeit hilft, Befürchtungen abzubauen.
- Sicherheitsrelevanz: Wie sicher sind die Technologien? Eine Frage, die Anwender stellen - und zwar aus der Perspektive des Datenschutzes und ob die Technologien die Sicherheit von Menschen wahren. In diesen Fällen müssen Technologien Qualität beweisen und ihre Sicherheit unter Beweis stellen.
- Konkurrenz: Partner oder Jobvernichter? Unternehmen können dem Misstrauen der Mitarbeiter gegenüber neuen Technologien entgegenwirken, wenn sie vor, während und nach der Einführung offen mit den Mitarbeitern kommunizieren und auch auf deren Bedenken eingehen. Hilfreich ist hier auch eine Evaluierung der Verbesserungen nach der Einführung im Vergleich zu einem Zeitpunkt vor der technologischen Neuerung.
Technische Grenzen – kaum vorhanden. Finanzielle schon!
Technische Grenzen gibt es wenige. Limitierend kann die vorhandene Speicher- und Rechenleistung sein. Die Finanzierbarkeit der technologischen Neuerungen ist ausschlaggebend. Technologie um jeden Preis ist nicht rentabel oder wirtschaftlich – der Output muss im Vergleich zum Input stimmen. In die Kalkulation muss deshalb der initiale Aufwand vor der Einführung der Technologie, die Einführung selbst, die dauerhafte Betreuung und eventuelle Nachrüstungen einbezogen werden. Diese Punkte können die Machbarkeit einschränken und Grenzen setzen.
Zusammenfassung:
- Neue Technologien haben bewährte Serviceansätze weiterentwickelt und bieten heute Möglichkeiten, mehr auf die Wünsche und Anforderungen der einzelnen Kunden einzugehen.
- Sie bieten somit die Chance, Service auf eine neue Ebene zu heben – doch müssen erst einige Herausforderungen angegangen werden. Diese liegen im technischen Bereich, aber auch Finanzen und die Einstellungen der Kunden und Mitarbeiter können Grenzen setzen.
- Ist der Support sich dieser Herausforderungen bewusst und geht diese an, steht einem Kundenservice mit neuen Technologien nichts im Weg.